Die Zeit, die Zeit.

In Martin Suters gleichnamigen Roman ist genau diese Zeit dem eigenbrötlerischen Protagonisten Knupp ein Dorn im Auge. Der Witwer verfolgt einen ausgeklügelten Plan um den Dorn, jenen der Illusion von Zeit, ein endgültiges Ende zu bereiten und damit zu ziehen. Was er alleine jedoch nicht zu schaffen vermag, wird mithilfe seines jüngeren Nachbarn Taler nach und nach möglich und damit zur Wirklichkeit. Beide sind zwar schon seit langem Nachbarn, lernen sich jedoch erst durch die Suche Talers nach dem Mörder seiner Frau kennen. Was für Taler als verrücktes, unsinniges und teils aufgezwungenes Mitwirken begann, entwickelt sich im Laufe des Buches zu dem echtem Glauben an das tatsächliche Eintreten Knupp’s Plan und seiner Realisierung bzw. dem Eintreten seines Ergebnisses. Dieser verfolgt dabei das Ziel eine detailgetreue Wiederherstellung des Zustandes seines Eigenheims, sowie dem dazugehörigen umliegenden Radius, wie er auf einem Bild vom 11. Oktober 1991 dargestellt ist zu verwirklichen. Von der exakten Nachbildung erhofft sich Knupp die Möglichkeit des Wiedereintritts des Zustandes zu genau diesem Tag und somit einem Zustand, an dem seine Frau noch lebte.

„Die Zeit vergeht nicht, alles andere vergeht. Die Natur. Die Materie. Die Menschheit. Aber die Zeit nicht. Die Zeit gibt es nicht.“

Die Veränderung

Unsere Vorstellung von Zeit ist subjektiv, laut Einstein relativ und trotzdem eine feste Konstante in unserem Leben, ohne jene wir den Halt verlieren würden. Und natürlich erfahren wir Zeit als etwas reales, beispielsweise wenn der Bus in fünf Minuten kommt oder es noch drei Wochen bis zum lang ersehnten Urlaub sind. Es ist fast schade, dass man sich eine Welt ohne Zeit gar nicht vorstellen kann. Dabei ist das einzige charakteristische der Zeit die Veränderung. Ohne eine Veränderung von Zellen, materiellen Zuständen, Veränderungen der Umgebung und des Selbst in dieser wäre eine lineare Vorstellung von Zeit gar nicht existent. In Gegenwart eines sich nie verändernden Zustandes, wäre die Zeit als solches obsolet. Doch existiert sie nunmal diese Zeit und ein Umgehen erscheint, auch nach Knupp’s Vorstellung, nahezu unmöglich. Vielmehr sind wir immer mehr Getriebene in der uns umgebenen strukturellen Form der heutigen Zeit. Wörter wie Zeitmanagement, Zeitdruck und Zeiteffizienz bestimmen den Alltag. Die Kinderserie Momo hat es schon längst auf den Punkt gebracht, indem die Zeitsparer als Lebenszeitverschwender entlarvt wurden.

Das Leitmotiv

Im medizinischen Bereich und dabei in der Radiologie im Speziellen, kommt man täglich mit vielen schweren Schicksalen in Kontakt und oft bekomme ich von Patientinnen zu hören, man hätte sich immer Zeit für andere genommen. Man hielt die Stellung auf Arbeit, versorgte Mann und Kind(er), pflegte bedürftige Familienmitglieder, jonglierte mit Haushalt und Beruf. Ein Hetzten von A nach B, die eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund rückend. Viele stellten diese immer wieder hinten an und ernteten viele Jahre später das Resultat, das Ergebnis eines so lange ungehörten Hilferuf’s des Körpers. Natürlich spielen noch andere Faktoren wie Karzinogene, eine frühe oder späte Menage, Adipositas usw. eine Rolle. Dennoch erleben wir genau dieses Phänomen in einer ermüdeten Gesellschaft immer öfter. Krankheiten, resultierend aus dem vorherrschenden Phänomen des Zeitmangels. Und diese Schnelligkeit nimmt immer mehr an Fahrt auf, schneller zur Arbeit, nach Hause zum Sport usw. Wann haben wir das letzte Mal etwas langsam gemacht ? Wann sind wir das letzte mal wirklich bei uns angekommen? Wie nehmen wir uns eigentlich Momente der Ruhe?

Rückkehr zum Ursprung

Gerne würde ich alle Aspekte ausführen wollen, die jene Zustände der Welt im Bezug auf den Umgang mit Zeit beleuchten, aber das wäre zu umfassend. Gerade weil die Zeit etwas ist, dass so subjektiv erfahren wird und für jemanden der kein Studium der Quantenphysik hat kaum begreifbar ist. Es ist mir jedoch wichtig ein paar grundlegende Dinge dieser Problematik offen darzulegen. Gerade meine Generation der Mittzwanziger unterliegt großen Missständen im Bezug auf sinnvoll genutzte Zeit. Durch Ablenkung und Konsum kommen wir unserem wahren Kern nicht wirklich näher. Anstatt dem Wiederherstellen des Urzustandes einer natürlichen Lebensweise, ziehen wir uns gerade in der Corona Epidemie immer weiter zurück ins Private und bevorzugen ein Dasein in inhaltsloser Unbewusstheit. Anstatt der Meditation, des Lesens und Lernens, der Ausübung sportlicher Betätigung und dem Auseinandersetzen mit inneren Bedürfnissen, unterliegen wir medialer Ablenkung, substanzieller Betäubung und verlieren uns damit im dichten Nebel der immer weiter fortschreitenden Selbstentfremdung. Kostbare Zeit, die uns hier bleibt wird verschwendet und gedankenlos in Lebenszeit verkürzende Güter investiert. Das Konstrukt erscheint mir undankbar und selbstverschuldet. In einer Zeit in welcher die Destruktivität gefördert, in Enthumanisierung investiert und unablässig angstgerichtetes Gedankengut stetig wächst, fällt es schwer zu seinen Wurzeln zurückzufinden. Doch ein jeder trägt die dafür benötigten Qualitäten in sich, man darf nur der permanente Ablenkung nicht nachgeben und sich die Zeit nehmen die man braucht. Jeder in seinem eigenen Tempo. Wie wäre es dabei mal ein Bild zu malen, Gitarre oder eine neue Sprache zu lernen. Blumen, Tomaten oder kleine Kräuter lassen sich auch in der Wohnung pflanzen, ein Stift und Papier sind schnell gegriffen. Es gibt viele Möglichkeiten sich ein paar Momente für sich einzuräumen, ohne Druck, ohne Ziel, einfach sein. Und langsam, egal ob beim Tanzen, Lesen oder Musizieren, verschwindet die Vorstellung von Zeit vollständig. Man selbst ist grenzenlos versunken und jede Vorstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verliert seine Bedeutung.

Collage

Eine selbstgemachte Collage mit Bildern und Zitaten von Tumbler und aus der Monde de diplomatique. Ein Versuch des kreativen Ausdrucks. Den Geist zu entleeren fällt schwer, ein Ventil zu finden für die täglichen Eindrücke. Wie bringt man sein Innerstes nach Außen ? Hesse arbeitete Zeit seines Lebens mit Aquarellen. Er kopierte nicht schon längst vorhandenes (- so wie ich -), sondern erschuf mittels seiner Vorstellungskraft Texte und Kunstwerke, die heute noch Präsenz haben. Ein Vorbild. Ich will mich nach einer 40 Stunden Woche nicht willenlos vor Netflix setzten, um mich noch weiter in unbewussten Sphären aufzuhalten. Die Sehnsucht nach dem produktiven Tätigwerden (- nach Erich Fromm -) ist groß. Der überfüllte Geist giert nach Entleerung, nach Bewusstheit und Ankommen in einer Welt der Rastlosigkeit.

Bedingungslos

Aus: Also sprach Zarathustra. – Nietzsche

4 Wöchige Frankreichreise 2020 durch die Pyrenäen und Atlantikküste. Bild entstand, als wir random einem Wanderer hinterherliefen, der schon seit drei Monaten unentwegt unterwegs war. Es führte uns mitten in ein unberührtes Tal an dessen Ende wir einen kristallklaren Bergsee auffanden. Wunderschön, ruhig, friedlich und erhaben. Eine unvergessliche Zeit mit zwei ganz besonderen Menschen. Ich bin dankbar für diese Erfahrung.

Wir sind bedingungslos auf diese Erde gekommen.

Wirrnisse des Selbst

Einmal in Vergessenheit üben, einmal in Vollkommenheit baden, im Desaströsen versinken, die brennende Luft atmen, den fremden Schmerz spüren, die Synergie erleben. Doch alles scheint wie gehabt, die Dinge der Zeit sind noch da und binden uns an jenen, uns so bekannten Raum der Gewohnheit. Dabei lechzt du nach Unvernunft, Risiko, Abtrünnigkeit, willst berührt werden, allem entsagen und die Ketten lösen. Und doch lässt du ihn in dir, sperrst ihn weg diesen Drang, diese Begierde, die unbeschreibliche Sehnsucht nach mehr. Jene nach dem intensiv duftenden Grün der in deinen Tiefen verborgenen Wildnis, jene nach einem exzessiv alles entsagendem Tanz. Diesem Drang nach dem Welten verschlingenden Ungestüm deines Seins. Langsam verlierend im Konstrukt der alltäglichen Konventionen, folgst du dem Narrativ der Normalität und übrig bleibt diese klebrige Belanglosigkeit. Da ist kein Drang mehr, keine Begierde, kein loderndes Feuer, dafür nur noch die Routine und ein latenter Hauch inhaltslosen Smalltalks, der dein Wesen langsam benebelt. Ein Fremder im Wahnsinn des Zeitgeistes, dein Blick getrübt von verlorener Hoffnung, eingepfercht in die Norm einer ganzen Generation. Wild war gestern, Ziellos ist jetzt. Wagnis als solches bleibt uns unbekannt und das Unbekannte an sich weitgehend gefürchtet. Verloschen ist die Wärme des inneren Feuers, jene des ehemaligen Antriebs, des Strebens nach Potenzial und Entfaltung. Das wilde Verlangen verblasst und übrig bleibt eine Mischung aus ernüchternder Langeweile und dem sich wiederholendem Trott. Und so kommt es dazu, dass man beim Versuch diesem desolaten Zustand zu entfliehen, ja ihn zu übertünchen, jenem Konsum erliegt der mit seinem falschen Glanz frohlockt und sich dabei der Geist langsam entleert und die Seele zunehmend verstümmelt. Des Nachdenkens dabei überdrüssig bleiben Zarathustras Worte ungehört, die Münder der Großen nicht mehr verständlich für heutige Ohren und das Wesentliche verklärt. Alles ergießt sich dem affektiven Diskus über neoliberale Wahrheit, während die Mündigkeit immer weiter verloren geht. Apathie und Verdrossenheit sind die Schlagwörter einer Debatte die keinen mehr Interessiert. Vermieden wird die Konfrontation mit dem eigenen Ich und betäubt bleibt der einstmals verschlingende Drang nach Veränderung und Tatendrang. Am Ende des Tages schwirren nur noch Fragen bezüglich des Essens, der Film-oder Serienauswahl, der Kleiderwahl für den kommenden Tag oder der Erwägung einer Buchung zum nächsten Reiseziel, in dem Kopf einer verlorenen Seele.

„Wir behandeln uns wie ein Produkt und sind enttäuscht, weil jeder nur auf uns’re Packung kuckt“ Käptn Peng