Entsagung

Es schnürt dir die Luft ab, bebend um den nächsten Atemzug ringend, weitest du deinen Brustkorb. Wie konnte es dir nur abhanden kommen, wo du es doch bis eben noch in deinen nun zittrigen Händen hieltest. Etwas so Kostbares darf einfach nicht verschwinden, es zu verlieren bedeute die Unerreichbarkeit deines weiteren Vorhabens. Die Bewusstheit über dieses Faktum gräbt sich dir bis ins Mark, ätzt eine bleibend unauslöschliche Gravur in dein Leib. Bis eben war doch noch alles in Ordnung. Dein Selbst nestelte an der dir sukzessiv zuteil gewordenen Sicherheit herum und labte sich vergnüglich an dem so verzückend vertrauten Naturell. So lange wast du schon damit beschäftigt zu warten, dass du gar nicht bemerktest wie es dich in ihre Illusion mit einsponn und dich vom Wesentlichen ablenkte. Und nun ist es endgültig fort, verloren im eisigen Firnfeld, darin bis zur Unkenntlichkeit verschmelzend wie ein Tropfen im Meer. Womit warst du dir eigentlich so sicher? Vielleicht spielt dein Kopf nur ein doppeltes Spiel, einen üblen Streich, deinen Verstand dabei hintergehend und deine bisherigen Annahmen leugnend. Es fällt dir zunehmend schwerer kausal nachzuvollziehen, ob es denn jemals da war und in welchem Sinne es je zu dir gehören sollte. Vollumfänglich beginnt dein Geist mit der vertrauten Arbeit, spinnt Hypothesen und Gedankengeflächte, wägt Eventualitäten ab und kommt immer wieder an den selben Punkt jeglicher Auffassungsgabe. Einen von vielen jener holistischen Wissensakkumulation. Auf die Heftigkeit, mit der dich die Wahrheit infiltriert warst du so nicht vorbereitet. Hättest es nie sein können, denn selbst die manifestesten Glaubenssätze dröseln sich bis zum wesentlichen Kern auf und erlauben dir den Blick auf etwas zuvor noch nie Gesehenes. Eine Art Erinnerung, eine Ahnung von etwas das es dir unmöglich werden lässt es auch nur im Ansatz beschreiben zu wollen. Als sei es dir wieder erinnerlich, was schon so unaussprechlich lange im Verborgenen lag. Du hast keine Ahnung von dem gesamten Ausmaß des Zusammenhanges, welcher sich dir schon ergab noch bevor du es zu wissen glaubtest. Der Glaube daran wohnt dir inne und ist dennoch der falsche Ausdruck für das eigentlich Unbeschreibliche. Vielmehr wurde diese konkrete Wahrheit ein wesentlich beständiger Teil von dir, eine über lange Zeit organisch gebildete Einheit. Eine unverzichtbare Entität, welche dazu benötigt würde den weiteren Schleier zu lichten und durch das Trübe hindurch klar sehen zu können. Wie sollte etwas abhanden kommen, das untrennbar mit dir verwoben ist, von allen Seiten, aus allen Spheren der Existenz hinaus. Du beginnst dich zu wundern wie du überhaupt zu diesem Schluss kamst es verloren geglaubt zu haben.

Doch irgendetwas drückt noch immer beständig gegen deine Brust, erschwert dir das Atmen, gibt dir das Gefühl von Machtlosigkeit. Das Gefühl etwas würde dir kontinuierlich durch die Finger rinnen und dir entgleiten. Deine Hände zu Fäusten ballend, spannst du Muskeln und Sehnen in deinen Fingern, beginnst deinen Willen unter Aufbringung höchster Kraft zu formen, sodass er auf deinen Befehl gehorchend fokussiert und bereit ist genutzt zu werden. Langsam lässt du ihn durch deinen Körper gleiten, bis er jeden Winkel erfüllt und jede Zelle durchlaufen hat. Auf Gehorch hin, strömt er nach außen und beginnt auch hier jede ihm begegnende Instanz zu prägen. Dieses Außen ist nur der Spiegel, welcher dir aufzuzeigen vermag was du in deinem Innersten lebst. Den Druck von deiner Brust nehmend, umhüllen dich Wogen der Ruhe. Eine Gelassenheit wird dir zuteil, welche dich vergessen lässt wonach du überhaupt suchtest. Denn alles von Nöten geglaubte befindet sich unlängst hier bei dir, in deiner Hand, in der im Jetzt befindlichen Realität. Der Schleier jeglicher Illusion ist fort und das Gefühl des Verlustes mit ihm. Du hattest es nie verloren und musst dich auch nicht mehr auf die Suche begeben, alles was du je brauchtest befindet sich in seit jeher unlängst in deiner elementarsten Substanz. Was da zerrinnt, ist nicht fort, sondern begegnet dir in einem anderen Gegenwartsgeschehen wieder. Alles was du tust ist das bereits Zerronnene zu formen, es dir zu eigen zu machen. Dein Körper entspannst sich zunehmend, denn es ist dir endlich möglich tatsächlich zu sehen. Mit geschlossenen Augen schaust du weit in die Ferne und erblickst die Zugehörigkeit, nach der du dich ferner sehntest. Dein Mut, dein Wille, deine Kraft werden belohnt, das Kinn gen Sonne reckend, welche dir warm ins Gesicht scheint, bist du bereit für alle Herausforderungen die auf dich warten mögen. Denn du bist dir deiner selbst sicher und unverrückbar. Du kannst nichts mehr verlieren, dass du nicht schon längst losließt.

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