Das Beben der Nacht

Ich stelle mir vor durch die Nacht zu fahren, durch die nackte, kalte, erregende Nacht. Jene, die einen mit ihren Geheimnissen umgarnt und reizt, eine die in sich verworren und gleichzeitig bedingungslos ist wie das Geheimnis selber. Kein Hunger, kein Durst, nur die unbändige Begierde nach einer nahezu extatischen Freiheit. Egal ob tanzend im Club oder angetrunken durch die Stadt laufend. In all seinem Sein einfach losgelöst und dabei tanzend, lachend, bebend diese verbrennende Berührung seiner selbst spürend. Im Hintergrund läuft die Musik deines Lebens, so jung, so verheißungsvoll, so ausschweifend wie es nie mehr sein würde. Alles aufsaugend, das ganze spektrale Kaleidoskop der Farben zerfließt du hinein in eine alles erfüllende Grenzenlosigkeit. Diese Nacht ist rein, dein Herz ist es auch. Schlagend zum Beat, inhalierend den Rauch, begrüßend den nächsten Tropfen. Egal ob Leben oder Tod, es spielt keine Rolle mehr denn du bist voll, gar überfüllt von jener alles zerberstenden Vitalität. Die gleiche Aufregung spürend, so als stündest du vor allen ersten Malen die jemals waren und jemals sein würden. Denn alles passiert zum ersten Mal, alles ist neu, alles lässt dich mit sich ziehen. Und du schwimmst inmitten einer dichotomischen Verlorenheit. Verloren im Guten, im Bösen. Im nie Gehabten und im allen Gewesen. Vergangenheit und Zukunft vereint in der Gewissheit des gegenwärtigen Moment der Fülle. Da ist kein Druck, kein Wille mehr. Moralität und Ethik verlieren an Wert, was zählt ist die wiederholende Rhythmik der Impulsivität dieser und zahlreich folgender Nächte. Die Bedingung dafür ist der Ausbruch, ein Ausbruch aus deinen vorherrschenden Verhaltensstrukturen, das Überschreiten deiner eigenen Grenzen. Alles zerberstend durchdringen als gäbe es kein Morgen mehr, im Regen gehen bis deine Willenlosigkeit fortgespült ist, jede Entscheidung wertlos. Was bleibt ist Vollkommenheit, geeint mit dem induktiven Äußeren der formlosen Essenz der materiellen Welt. Im Gegensatz zum Tag, macht dich die Nacht nicht zum transparenten Subjekt ihrer selbst. Weder bist du durchdrungen von Ambivalenz, noch getrieben vom Alltag, nein du bist in deinem Wesen geeint mit der grenzüberschreitenden Vereinheitlichung einer undefinierbaren Kraft. Du bist grenzenlos, ganz und gar bedingungslos. Du bist für immer. Jede Berührung tritt in direkten Bezug mit deinem Herzen, dabei schwillt es an bis zur unreflektierbaren Größe, erreicht Lichtgeschwindigkeit, durchbricht jedes Zyklotron. Du bist der einzige Rahmen in dessen sich das Ganze abspielt. Alles bezieht sich auf dich und du beziehst dich auf alles. Ein fusioniertest Ganzes, definiert vom Zeitgeist ganzer Generationen. Geprägt von Rebellion und antisystemischen Denken. Von jedem Regelverstoß bestätigt, genauso wie der Kratzer oder blaue Fleck ein noch so kleines Zeugnis des eigenen anarchischen Vortschreitens auf der Überholspur ist.

Doch nach dem Hoch kommt die Melancholie, kommt sie Sehnsucht nach Gemeinsamkeit, mit sich und dem Universum. Im bestenfalls eine mit jemand Gleichgesinnten, jemand der jene Vertiefung deiner Seele teilt, die Schlucht überschreitet. Einer mit richtigen Ohren für deinen Mund. Diejenige Hälfte welche deinem Herzen die Freiheit schenken und sie dich immer wieder spüren lassen würde. Gemeinsam in den Abgrund schauend, die Verstandlosigkeit überwindend. Die gegenseitige Introspektion vereinend zu aphoristischer Einheit.

Das alles formuliert in mir diesen einen Wunsch, den Wunsch des sich lösen Könnens. Der Wunsch nach inniger Zentralisation. Sich selbst verlieren und dabei finden, als Neubeginn, als erweiterter Erhalt, als die alles beendende Zerstörung. Die Analogie zu Shiva und der Erkenntnis selbst.

Sobald diese einstige Euphorie der Nacht vorbei ist, ergreift einen nur noch Bitternis. Das Herz verschließt sich von selbst, der Tropfen, der Rauch, die Pille verlässt den Körper und übrig bleibst du selbst ohne euphemistische Erweiterung. In der Tiefe lässt sich das Wesen der Welt schlecht erkennen. Der Kern ist vergessen und übrig bleibt die Gleichgültigkeit der apathischen Unmündigkeit. Du schiebst den Coin in den Einkaufswagen, steigst in dein Auto zur Arbeit, machst dich auf den Weg zur nächstliegenden Verpflichtung. Die Nacht ist vorbei, der Tag bricht an und du unterliegst schon wieder dieser selbst auferlegten Begrenzung.

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